Rückschau zum Vortrag von Prof. Dr. Walter Mühlhausen

Das Burggymnasium Friedberg feiert in diesem Jahr sein fünfzigjähriges Gründungsjubiläum mit allerlei Veranstaltungen. Aber wie kam es eigentlich zur Gründung dieser einzigen Oberstufenschule im Wetteraukreis? Und warum mussten dazu zwei andere Schulen – die Schillerschule und das Aufbaugymnasium – zusammengeführt werden? Solchen und anderen Fragen ging der Vortrag von Prof. Dr. Walter Mühlhausen nach, der die Umstände der Schulgründung des Jahres 1974 beleuchtete. In seinem Referat mit dem Titel „Klassen“-Kampf?! – Bildungsreformen im Hessen der 1960er und 1970er Jahre zwischen sozialem Anspruch und politischer Wirklichkeit“ beleuchtete Mühlhausen die hessische Bildungspolitik der 1960er und 1970er Jahre und beschrieb sie als ein heiß umkämpftes Politikfeld. Der durch seine zahlreichen Veröffentlichungen zur hessischen Geschichte bekannte Historiker – zuletzt erschien seine Monografie „Hessen im 20. Jahrhundert“ – wies die rund 100 Schüler:innen sowie die zahlreichen weiteren Interessierten aus der Stadt auf die Hitzigkeit der damaligen Debatten hin. Bildungspolitik erregte demnach die Gemüter, beschäftigte Gerichte, mobilisierte Eltern und Verbände. Weil Bildung schon damals als Schüssel zum sozialen Aufstieg und zum Ausgleich von sozialen Ungleichheiten galt, provozierte das Thema nicht nur hitzige Parlamentsdebatten zwischen den Parteien, sondern löste auch außerparlamentarische Aktionen aus. Zwar hatte es schon im Jahrzehnt zuvor in der jungen Bonner Republik massive Gesellschaftsdiskussionen gegeben, doch traf die Frage, wie das Bildungssystem gestaltet werden sollte, auf besonders harte Fronten. Sie verliefen zwischen den Befürwortern eines Gesamtschulsystems, das wesentlich mehr Jugendlichen den Weg zum Abitur eröffnen wollte, und den Vertretern des traditionellen Gymnasialsystems. Inhaltlich wurden im Zusammenhang mit dem sogenannten Großen Hessenplan unter dem damaligen Ministerpräsidenten Georg August Zinn (SPD) und insbesondere unter seinem Kultusminister Ludwig von Friedeburg Bildungsinhalte und Bildungsformen – wie bspw. die Integrierte Gesamtschule – neu definiert. Die Härte der folgenden Auseinandersetzungen um das Für und Wider war gerade zwischen CDU und SPD derart kompromisslos, dass sich regelrechte Weltbilder – scheinbar im Gegensatz von Marxismus und Freiheit – ausbildeten. Diffamierungen blieben dabei nicht aus. Der damit verbundene Kampf um die Schule nahm Formen eines regelrechten Klassen- und Weltanschauungskampfes an.

Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete der als außerplanmäßiger Professor an der Technischen Universität Darmstadt lehrende Mühlhausen, der bis ins letzte Jahr als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg arbeitete, der beim Hessischen Landtag angesiedelten „Kommission für Politische und Parlamentarische Geschichte des Landes Hessen“ angehört und so an der Demokratiebildung in unseren Bundesland und darüber hinaus aktiv mitwirkt, viele Fragen des Publikums. Dabei beteiligten sich nicht nur die anwesenden Schüler:innen, sondern insbesondere auch die anwesenden Senioren, die als Lehrerkräfte, Schüler:innen und Politiker:innen diese Zeit erlebten.

Dieser Beitrag erschien auch in der Wetterauer Zeitung am 29.02.2024.